"Mein Körper veränderte sich. Das, was erogene Zonen waren, war auf einmal nur noch Haut. Es war, als ob alle Leitungen gekappt waren."

Ich war eine Frau, jetzt bin ich 66 Jahre alt und möchte hier meine Geschichte erzählen.

 

Mein Mann ist mit 45 Jahren an einem Aneurisma gestorben. Wir waren 23 Jahre verheiratet, hatten 2 Söhne und beide einen guten Job. Kennengelernt haben wir uns beim Studium. Von einem Tag auf den anderen war nichts mehr, wie es gewesen ist. Ich bin eine starke Frau, ich schaffe das, so habe ich gedacht. Ja, ich habe mich stark gefühlt.

 

Was ich nicht geschafft habe, das waren die emotionalen Sachen. Wie trauert man richtig? Ich saß da mit Schuldgefühlen (wir hatten uns vorher gestritten) und einigen anderen Problemen und bin in eine Depression gerutscht, aber vielleicht war es auch nur die Trauer. Ich habe mich daher selbst in eine Klinik geschickt, weil ich das Bedürfnis hatte, darüber reden zu müssen, aber mein Umfeld damit überfordere.

 

Nach dem Tod meines Mannes ging es in meinem Leben dann über Jahre auf und ab. Depressive Phasen wechselten sich ab mit Phasen, in denen es mir relativ gut ging. Ich bin viel gereist, meine Kinder sagen, ich bin dem Schmerz davongelaufen. Aber die Erfahrung ist heute, dass man alles mitnimmt, auch auf Reisen.

 

So wie es mit mir auf und ab ging, habe ich immer mal wieder Antidepressiva genommen, aber außer den Nebenwirkungen keine positive Wirkung gespürt. Es ging mir mit den Antidepressiva schlechter als ohne, also habe ich sie wieder abgesetzt. Ich habe wohl die ganze Palette ausprobiert.

 

"Die anfänglichen Antidepressiva hatten keine Auswirkungen auf meine Sexualität. Wenn es mir richtig schlecht ging, hat mich Sex wenig interessiert, in besseren Phasen war die Libido wieder da."

 

Dann kamen die Wechseljahre und ich bin wieder in die Depression gerutscht. Die Psychiaterin sagte, jede Depression geht mal vorbei. Ich wollte es damals nicht glauben. Ob ich es mir denn vorstellen könnte, Rente zu beziehen. So richtig wusste ich damals nicht, worauf ich mich einlasse, aber an meiner Arbeit fühlte ich mich total überfordert, denn ich konnte mich nicht konzentrieren, machte Fehler. Ich hatte eine verantwortungsvolle Arbeit, die ich mir erkämpft hatte und gern machte, aber ich war dem nicht mehr gewachsen. Das kannte ich so nicht. Dann kam die Rente mit 55 und so ganz langsam verschwand auch die Depression.

 

Es ist ja eine Geschichte und manches reflektiert man erst im Nachhinein. Ich hatte nach dem Tod meines Mannes sexuelle Sehnsüchte. Ich hatte einige Beziehungen, ich habe mich nach Nähe, nach Sex gesehnt.

 

"Sex war immer schön. Es war Lebendigkeit. Ich konnte mich spüren."

 

Ich hatte dann 8 Jahre eine Beziehung, etwas schwierig, aber wir haben uns sehr angezogen und wir hatten immer guten Sex, bis auf einmal alles anders war. Es war so der Zeitpunkt, als ich mit meiner Arbeit kapituliert habe und wohl das Antidepressivum nahm oder absetzte.

 

"Mein Körper veränderte sich. Das, was erogene Zonen waren, war auf einmal nur noch Haut. Es war, als ob alle Leitungen gekappt waren."

 

Ich war nicht mehr erregt, konnte nicht mehr küssen, ließ mich nicht mehr berühren, konnte damit gar nicht umgehen. Ich habe geheult, war wütend, ich habe das Ganze überhaupt nicht verstanden. Die Beziehung ging kaputt.

 

Mit wem kann man darüber reden? Meine Freundin konnte sich gar nicht vorstellen, dass ich sexuell nicht mehr funktioniere. Ich bin ja eine attraktive Frau nach außen. Damals habe ich es auf das Klimakterium geschoben, auf PSSD bin ich erst später in einem Forum gestoßen. Ich habe nach der Problematik immer wieder irgendwo gesucht, weil es so gar keinen Sinn ergab. Ich kann heute auch nicht mehr sagen, welches Antidepressivum es war, aber es macht für mich Sinn. Da ich von den Antidepressiva heftige Nebenwirkungen hatte, habe ich sie nie lange nehmen können und immer schnell und unkontrolliert abgesetzt.

 

Heute denke ich, dass die Medikamente diesen schmerzlichen Verlust ausgelöst haben, denn eine so massiven Beeinträchtigung der sexuellen, emotionalen und kognitiven Fähigkeiten durch das Klimakterium kann ich mir nicht vorstellen.

 

Bei Ärzten braucht man es nicht ansprechen, alles psychisch. Das verletzt! Mir hat nie jemand sexuell weh getan, warum sollte ich Sexualität ablehnen? Und auch nach dem Klimakterium haben die Menschen noch Gefühle, Sehnsucht und Sexualität.

 

Der Verlust ist zu schmerzhaft. Ich habe es in eine Ecke gestopft. Da soll es bleiben, was es aber nicht tut, denn wir leben in einer Welt der Sexualität. Männer ziehen mich nicht mehr an. Sehe ich einen Film, in dem sich Menschen küssen, finde ich es eklig. Interaktion von Mann und Frau ist ja Senden und Empfangen. Ich sende und empfange nicht mehr!

 

Ich träume nie. Ich kann mich nicht freuen. Ich war an so tollen Orten der Welt und kann es nicht empfinden. Konzentrationsprobleme haben mich ja schon die Arbeit aufgeben lassen, ich traue mich auch nicht mehr an komplexere Themen heran. Schnell bin ich überfordert. Mittlerweile bin ich Schmerzpatient geworden, was ich auch irgendwie auf die Antidepressiva zurückführe. Alles steht im Zusammenhang – nichts ist losgelöst zu betrachten.

 

 

Im Nachgang bereue ich, dass ich für mich nicht dokumentiert habe, wie ich welches Antidepressivum empfunden habe. Das ist sehr schade. Heute kann ich nur noch sagen, dass die beiden letzten Cymbalta und Valdoxan waren. In einer Klinik habe ich noch mal Mirtazapin 1 Tablette versucht, aber das war schrecklich. Ich konnte nicht schlafen, war aber wie betäubt. Nie wieder!